Sinn und Unsinn von Latein - Teil 1 Schulmythen

Latein lernen

Latein ist die produktivste, einflussreichste und erfolgreichste Sprache aller Zeiten. Daran wird auch die aktuell andauernde, kulturelle und politische Dominanz Amerikas und damit die englische Sprache (deren Wortschatz übrigens zu 60% lateinischen Ursprungs ist) nichts ändern. Deswegen ist es auch heute noch wert über Latein zu schreiben, wenn man über Sprachen und das Erlernen von Fremdsprachen schreibt. In dieser Artikelserie geht es darum, den Sinn und Unsinn des Latein Lernens aufzuzeigen.

Latein lebt weiter in anderen Sprachen. Latein an sich ist aber seit langem eine tote Sprache. Trotzdem lernen sie viele Schüler auch noch im 21.Jahrhundert. Dank unserer Schulideologie, die häufig älter und verstaubter erscheint als die lateinische Sprache, halten sich hartnäckig einige haarsträubende Mythen über den Sinn des Latein Lernens. Was sind die beiden häufigen Schulmythen der lateinischen Sprache? Und inwieweit sind diese Schulmythen wahr?

Mythos Nummer 1 „Latein schult das mathematische und logische Denken“

 

Dieser Glaubenssatz wurde und wird Generationen von Latein-Lernenden in der Schule bis zur Bewusstlosigkeit eingebläut. Und viele glauben ihn sogar, genauso wie viele - allen voran die Kirche - daran glaubten, dass sich die Sonne um die Erde drehte. Aber glauben ist eben nicht wissen. Was für ein blödsinniger Glaube! Wofür benötige ich eine (tote) Sprache, um mich in Mathematik und Logik zu schulen? Im Grunde führt dieser Glaubenssatz die Mathematik und Logik ad absurdum. Mathematisch denkst Du, wenn Du Mathematik betreibst, und logisch denkst Du, wenn Du Dich mit der Logik beschäftigst. Und die tote Sprache Latein lernst Du u.a., um lateinische Texte im Original zu verstehen.

Man kann gespannt sein, wie viele Generationen damit in der Schule noch verblödet werden.

 

Mythos Nummer 2 „Latein nützt beim Lernen anderer Fremdsprachen“

 

Etwas subtiler und auf den ersten Blick plausibel klingend, dafür aber umso wirksamer, ist Mythos Nummer 2. Damit wäscht die Schule Eltern und Schülern in vielfacher Gestalt die Hirne. Das geht bis hin zu Behauptungen, dass man mit Lateinkenntnissen romanische Sprachen mit Leichtigkeit lernen könne. Und an diesem Glaubenssatz ist immerhin auch ein ganz kleiner Funken Wahrheit enthalten. Genauso wie sich im Satz „die Sonne dreht sich um die Erde“ eine kleine Wahrheit versteckt - Himmelskörper bewegen sich schließlich. Aus lateinischen Vokabeln lassen sich vielfach Wortbedeutungen in allen romanischen Sprachen und in der englischen Sprache, deren Wortschatz zu etwa 60% auf Latein zurückgeht, ableiten. Alleine aus diesem Grund erlernen sich aber moderne Fremdsprachen nicht einfacher. Übrigens beherrschen Lateinlehrer häufig nicht mal Englisch, geschweige denn eine romanische Sprache...

 

Latein ist eine tote Sprache, sie wird nicht gesprochen, es gibt nichts zu hören, es findet keine Verständigung und keine Kommunikation statt. Sprache ist Kommunikation. Eine lebende Sprache beherrscht man, wenn man das Gesprochene und Geschriebene versteht, wenn man sie schreibt und wenn man sie spricht. Wenn man eine Sprache beherrscht, hat man sich mit deren Lautbild beschäftigt, die Aussprache gelernt, sich einen Wortschatz angeeignet, man kann Wörter und Bedeutungen kombinieren und die grammatikalischen Regeln dabei anwenden (und nicht auswendig!).

 

Beim Lernen von Latein ist es das ausschließliche Ziel, Texte zu verstehen und in seine Muttersprache zu übersetzen. Der Unterricht konzentriert sich auf die Vermittlung der Grammatik, der Vokabeln und aufs Übersetzen ins Deutsche. Das Lernen ist fokussiert auf das stumpfe Pauken von Vokabellisten und Grammatikregeln. Wer eine lebendige Sprache so lernt wie er Latein lernt, der wird sie nie und nimmer beherrschen. Eine Fremdsprache zu lernen erfordert viel mehr als nur alte Texte übersetzen zu können, was aber nicht heißt, dass es schwieriger ist, als Latein zu lernen.

 

Jede lebende Sprache, die jemand gelernt hat, nützt ihm beim Erlernen einer anderen Sprache wesentlich mehr als Latein, auch wenn die Sprachen weit voneinander entfernt sind, wie z.B. Japanisch und Spanisch. Ganz einfach deswegen, weil er gelernt hat, eine Sprache zu lernen, anders gesagt, weil er dann weiß, wie er eine Sprache lernen kann. Jemand der Latein gelernt hat, weiß nicht, wie man lebende Sprachen lernt. Ganz im Gegenteil, die Herangehensweise beim Latein Lernen schadet beim Lernen von anderen Sprachen.

 

Es gibt dann noch zwei weitere, linguistische Gründe, die den Glaubenssatz widerlegen und gegen Latein als Unterrichtsfach sprechen:  

1. Der Wortschatz der romanischen Sprachen ist sich gegenseitig heute wesentlich näher als dem gemeinsamen lateinischen Ursprung. Wer Italienisch fließend beherrscht, kann ohne weiteres die Grundzüge eines spanischen Textes verstehen, und umgekehrt. Wer sein Latinum mit einer Eins absolviert hat, versteht so gut wie nichts an einem Text einer romanischen Sprache.  

2. Alle romanischen Sprachen haben sich von der lateinischen Grammatik entfernt. Die Latein-Grammatik, das Herzstück des Latein-Unterrichtes, hat gar nichts gemein mit den Grammatiken der heutigen, romanischen Sprachen. Sie ähnelt vielmehr der deutschen Grammatik. Für das Erlernen von anderen Fremdsprachen ist die Kenntnis der lateinischen Grammatik vollkommen irrelevant.

 

Die Richtigkeit der beiden Mythen konnte nie erwiesen werden, das Gegenteil jedoch mehrfach (siehe zum Beispiel hier). Leider können sich Glaubenssätze - auch wenn sie vollkommen unsinnig und tausendfach widerlegt sind - unter Umständen noch Jahrhunderte halten und Handelsweisen beeinflussen. Es ist zu wünschen, dass diese beiden Mythen ganz rasch ihren Weg raus aus der Schulpolitik und aus dem Lehrkörper finden.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Christian Zierenberg (Samstag, 20 Januar 2018 21:11)

    Man kann Latein auch lernen, weil es Spaß macht, weil man Zitate in Asterix-Heften ohne Fußnote versteht, weil einem die klare Art zu denken gefällt, die diese Sprache so unvergleichlich macht, weil man wissenschaftliche Abhandlungen aus dem 16. Jahrhundert im Original lesen kann; es ist schon war: die Schein-Vorzüge, die zur Rechtfertigung dieser Sprache oft ins Feld geführt werden, treffen in der Regel nicht zu und daher auch nicht den Kern.

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